Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt die ersten Stolpersteine in Nackenheim

NACKENHEIM Es gibt wohl nicht so viele Ortsgemeinden, die sich mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit, insbesondere mit dem Leben, dem Leiden, der Vertreibung und der Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger/innen, so intensiv auseinandersetzen wie Nackenheim. Angefangen von Alt-Bürgermeister Horst Kasper aus Bodenheim über die Schüler des Nackenheimer Gymnasiums unter der Leitung von Geschichtslehrerin Katharina Kaiser und Studierende der Johannes Gutenberg Universität Mainz bis zu den Mitgliedern eines eigenen Arbeitskreises in der Ortsgemeinde haben sich eine Vielzahl von Menschen engagiert, um die Geschichte der Opfer zu erforschen und weiterzugeben.

Sichtbarer Ausdruck ihres Engagements war nun die feierliche Verlegung von vorerst 12 Stolpersteinen durch den Kölner Künstler Gunter Demnig in der Mainzer Straße 6 und 15 – 19. Auf diesen Stolpersteinen, in Messing verkleidete Pflastersteine, die europaweit in den öffentlichen Gehwegen vor den Häusern von in der NS-Diktatur diskriminierter, verfolgter und ermordeter Menschen und ihrer Familie eingelassen werden, sind Namen, Geburts- und Sterbedaten der Opfer eingraviert. Sie sollen an den letzten frei gewählten Wohnsitz oder auch den Geburtsort der Opfer des NS-Terrors erinnern und zeigen, dass der Nationalsozialismus auch vor Ort Spuren hinterlassen hat.

Szenische Darstellung aus dem Leben der Vertriebenen durch Schüler des Nackenheimer Gymnasiums
Fotos: Michael Türk

Eingerahmt in musikalischen Beiträgen von Dr. Mäurer und Susanne Jung mit Familie und in Anwesenheit diverser politischer Amtsträger, von Ortsbürgermeister René Adler und Verbandsbürgermeister Dr. Robert Scheurer über die Beauftragte der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen Monika Führ bis zu Vertretern der Fraktionen im Gemeinderat und der Kirchen, berichtete Katharina Kaiser, auch Leiterin des Arbeitskreises Stolpersteine, zu Beginn der Veranstaltung über das Leben der betroffenen Nackenheimer Familien Heumann, Wolff, Sender und Koch. Sie waren allesamt angesehene Bewohner des Ortes, die vertrieben wurden, nach Amerika und Brasilien emigrieren mussten oder im Konzentrationslager ermordet wurden. Regelrecht „begreifbar“ gemacht wurden die Geschichten der Familien anschließend durch szenische Lesungen der Schüler des Gymnasiums aus Briefen der Vertriebenen – bewegende Augenblicke für alle Anwesenden.

In seinem Schlusswort hob Ortsbürgermeister René Adler schließlich noch einmal die Bedeutung dieser ersten Stolpersteinverlegung für Nackenheim hervor und plädierte eindringlich dafür, die Geschichte der Opfer weiter zu erzählen und aus der Vergangenheit zu lernen. Aber kann das wirklich gelingen, ohne nicht auch die Geschichte der Täter zu erzählen? Was bringt Menschen dazu, ihre eben noch hochgeachteten Nachbarn auszugrenzen und ins Verderben zu stürzen – oder es zumindest zuzulassen? Warum stellen sich Mitbürger, wie auf der Veranstaltung berichtet, als Mahnwache vor das Geschäft eines der Opfer, um andere Bürger einzuschüchtern und daran zu hindern, dort einzukaufen? Gerade in Zeiten der Verrohung des Miteinanders auch durch die Sozialen Medien inklusive massiver Hassbotschaften gegenüber „Anderen“, ist die Beantwortung dieser Fragen nach Eigenverantwortung und persönlichem Engagement gegenüber derartigen Auswüchsen wichtiger denn je. Sonst müssen wir uns womöglich demnächst fragen, für wen wir in einigen Jahren Stolpersteine verlegen wollen.

 

Autor: Michael Türk

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