INGELHEIM – Im Jahr 2022 bot sich für die Forschungsstelle der Stadt Ingelheim eine seltene Gelegenheit: In unmittelbarer Nachbarschaft zur Königshalle (Aula regia) der während der Regierungszeit Karls des Großen erbauten Pfalzanlage wird auf einer kleinen Fläche eine archäologische Ausgrabung durchgeführt.
Das letzte Mal, dass an genau dieser Stelle der Boden für eine Untersuchung geöffnet wurde, liegt mehr als 100 Jahre zurück. Damals konnte durch die ersten systematischen Ausgrabungen im Saalgebiet unter der Leitung von Christian Rauch erstmals eine skizzenhafte Vorstellung von der Größe, dem Grundriss sowie einzelnen Gebäuden der Kaiserpfalz gewonnen werden.
Obwohl seit 1993 wieder regelmäßig altertumswissenschaftliche Untersuchungen im Ingelheimer Stadtgebiet durchgeführt werden, sind Ausgrabungen inmitten des eng bebauten Pfalzareals, also in der archäologischen Zone, nur selten möglich. Dabei ist das Gebiet von brennendem Interesse für die Wissenschaftler, denn über die Innenhofbebauung der Pfalz liegen bis heute nur wenige gesicherte Erkenntnisse vor.
Vor allem die Leerstellen in unmittelbarer Nähe zur Aula regia wurden in der Vergangenheit, aus Mangel an konkreten Hinweisen etwa auf Nebengebäude oder Anbauten, mit verschiedenen Hypothesen belegt. So gibt es beispielsweise die Überlegung, dort könnte sich eine Art Atriumhof befunden haben. Belege dafür existieren nicht. Zuletzt wurde 2016 ein kleiner Bereich nordöstlich der Aula regia geöffnet und untersucht. Die Ergebnisse bleiben spärlich. In diesem Jahr sieht das anders aus.
Der relativ überschaubare Grabungsschnitt östlich der Aula regia steckt voller archäologischer Befunde. Mauern und Fundamente, Verfüllschichten, Estrichfußböden und ein möglicher Brunnenschacht: alles auf engstem Raum. Selbst den kleinen Suchgraben, den ihre Vorgänger schon vor rund 100 Jahren angelegt hatten, fanden die Altertumsforscher wieder.
Schichten und Resultate werden nun interpretiert, Funde wie Keramik oder Münzen datiert, um letztlich die Ergebnisse dieser Grabung in den großen Kontext einfügen zu können. Viele Fragen bleiben offen – vor allem die eine: Aus welcher Zeit stammen die neu entdeckten Befunde, insbesondere die Mauern? Bis jetzt scheint nur klar, dass sie mittelalterlich sind und sich mindestens zwei Bauphasen zuordnen lassen. Aber gehören sie zur Pfalz Karls des Großen? Und falls ja: Wie verändern die Ergebnisse unser Bild von diesem Ort, der im frühen Mittelalter so bedeutend gewesen ist?
Auch die seit 2017 laufende Grabungskampagne auf dem merowingischen Reihengräberfeld (ca. 500 – 750) in der Rotweinstraße wurde 2022 fortgesetzt. Dabei stießen die Archäologen auf eine Reihe seltener Grabbeigaben wie Flaschen aus Keramik, die in dieser Form bisher nicht oft gefunden wurden. Mehrere der für diese Zeit typischen Kämme kamen zum Vorschein, ebenso ein fragiles, aber vollständig erhaltenes Trinkglas. In einem Grab hatten die Forscher Glück.
Obwohl es wie die meisten Gräber schon im Mittelalter beraubt wurde und praktisch keine Funde mehr enthielt, fand sich am Fußende ein vollkommen intakter Knickwandtopf. Die Grabräuber hatten ihn offenbar nur um wenige Zentimeter verfehlt.
Autor: red