Mit der Vergabe des Mainzer Stadtschreiberpreises erinnern wir alljährlich an das Erbe Johannes Gutenbergs. Und dieses Erbe ist lebendiger denn je.
Zwar sind dem Buch seit den Tagen Gutenbergs mächtige Konkurrenten erwachsen, doch von einem Ende des Schreibens kann auch im digitalen Zeitalter keine Rede sein. Zu unserem großen Glück finden sich immer wieder Menschen, die die Mühen des Schreibens auf sich nehmen und ihre Leserinnen und Leser entführen – in fremde, ferne Welten, manchmal aber auch einfach in unsere unmittelbare Nachbarschaft.
Das Amt des Mainzer Stadtschreibers blickt auf eine lange Tradition zurück: 1984 wurde der gemeinsame Preis von ZDF, 3sat und der Landeshauptstadt Mainz erstmals an Gabriele Wohmann verliehen. Seither konnten wir viele weitere namhafte Autorinnen und Autoren für unsere Stadt und dieses Amt gewinnen. Sie alle haben es auf sehr persönliche Art geprägt und bereichert – ich nenne hier nur aus der jüngsten Vergangenheit Feridun Zaimoglu, Judith Schalansky, Peter Stamm, Kathrin Röggla, Ingo Schulze, Josef Haslinger, Monika Maron, Michael Kleeberg und natürlich Ilja Trojanow.
Die Jury des Mainzer Stadtschreiberpreises hat mit ihrem diesjährigen Votum für Abbas Khider eine hervorragende Wahl getroffen: Sie hat sich für einen Schriftsteller entschieden, der zwar keineswegs neu auf der literarischen Bühne ist – auch seine Vorgänger-Romane „Der falsche Inder“, „Die Orangen des Präsidenten“ und „Brief in die Auberginenrepublik“ waren bereits vielbeachtete Werke –, der aber eine so ungestüme Fabulierfreude mitbringt wie sie nicht oft zwischen zwei Buchdeckeln zu finden ist. Zumindest nicht in deutscher Sprache.
Geboren im Irak, wurde Abbas Khider mit 19 Jahren wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet und fast zwei Jahre lang in Gefängnissen interniert. Nach seiner Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und kam im Jahr 2000 nach einer langen Odyssee durch arabische und europäische Länder schließlich in Deutschland an. Er studierte in München und Potsdam Literatur und Philosophie und wurde 2007 deutscher Staatsbürger.
Abbas Khider versprüht trotz der Schwere seiner Themen und der Traumata seiner Protagonisten einen geradezu mitreißenden Optimismus und eine Leichtigkeit, die ansteckend ist. Vielleicht weil er aus seiner eigenen Biographie weiß, dass sich das Schwere mit Humor einfach leichter tragen lässt, ja, dass es sich vielleicht überhaupt nur so ertragen lässt? Oder um es mit einem sehr ernsthaften deutschen Philosophen, mit Immanuel Kant, zu sagen: „ Nur wer das Leben ernst, bitter ernst nimmt, hat auch wirklich Humor“.
Genau das aber ist es, was viele Leserinnen und Leser an Abbas Khiders Romanen so bewegt und berührt: die Ernsthaftigkeit und Empathie, mit der er auf die Not und das Leid von Flüchtlingen, auf ihre Flucht- und Gewalterfahrungen, aufmerksam macht. Auf Menschen also, wie sie zu tausenden unter uns leben. Abbas Khider gibt diesen verzweifelten, entwurzelten, suchenden Menschen eine Stimme. Und er weiß genau, wovon er spricht, denn seine eigene Biographie ist die Biographie eines Verfolgten und Geflüchteten.
Vertreibung, Flucht, Exil, Fremde – das sind die Themen von Abbas Khider. Und das sind zugleich die Themen, die unsere Gegenwart und gerade in Deutschland auch unsere Vergangenheit prägen.Themen, die die Lektüre von Khiders Romanen so fesselnd und zugleich nachdenkenswert machen.
Ich freue mich, dass der 33. Mainzer Stadtschreiber vor kurzem seine Wohnung im Gutenbergmuseum bezogen hat und in Mainz an seinem fünften Roman weiterschreiben will.
Besonders freue ich mich, dass er neugierig ist und die Mainzerinnen und Mainzer kennen lernen will. Er sagt selbst, dass neben dem Schreiben seine Leidenschaft auch darin besteht, neue Menschen kennenzulernen. Ich bin sicher, dass wir ihn bei der einen oder anderen Gelegenheit in den Mainzer Weinstuben treffen können.
Sprechen Sie ihn an, er hat viel zu erzählen.
Ihr
Michael Ebling